Das Stromnetz ächzt

Windenergie im Höhenflug – doch das Stromnetz ächzt
Ausbau-Rekord bei Windkraft trifft auf Infrastruktur-Realität
Die Windbranche jubelt: Im ersten Halbjahr 2025 wurden in Deutschland 409 neue Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 2,2 Gigawatt in Betrieb genommen – so viele wie seit 2017 nicht mehr. Auch bei den Genehmigungen werden Rekorde gebrochen: 7,8 Gigawatt neue Windleistung erhielten grünes Licht. Branchenverbände fordern nun eine Verstetigung des Trends und appellieren an die Bundesregierung, den Ausbaukurs entschlossen fortzusetzen.
Doch jenseits der erfreulichen Zahlen stellt sich eine unbequeme Frage: Wie viel Strom kann unser Netz überhaupt noch aufnehmen – und wie viel davon verpufft ungenutzt?
Abregelung, Redispatch, Stromüberschüsse – eine Schattenseite der Erfolgsmeldung
Denn während auf der einen Seite neue Windräder entstehen, häufen sich auf der anderen Seite dramatische Warnzeichen:
- Über eine Million Redispatch-Eingriffe wurden im ersten Halbjahr 2025 verzeichnet – Eingriffe, um Stromproduktion zu drosseln oder Kraftwerke hochzufahren, weil das Netz überlastet ist.
- In Bayern wurden an einem einzigen Tag fast 38.000 Solar- und Windanlagen abgeregelt, weil zu viel Strom vorhanden war – aber keine Leitungskapazitäten, ihn zu transportieren.
- 424 Stunden mit negativen Strompreisen zeigen: Strom wurde verschenkt oder sogar gegen Geld „entsorgt“.
Währenddessen stieg der Börsenstrompreis um rund 30 %* – eine paradoxe Entwicklung in einem Markt, der von „immer mehr“ Erneuerbaren geprägt ist. Die EEG-Förderung kostete den Steuerzahler im ersten Halbjahr 2025 rund 7,4 Milliarden Euro – obwohl viele Anlagen kaum zur tatsächlichen Stromversorgung beitragen konnten.
Die zentrale Frage: Netzengpass oder Ausbauverweigerung?
Die Windbranche fordert nun, an den Ausbauzielen festzuhalten – als „zentraler Beitrag zur Energiesicherheit“. Doch diese Argumentation greift zu kurz. Was nützt der beste Windstrom, wenn er nicht dorthin kommt, wo er gebraucht wird?
Die Wahrheit ist: Unser Stromnetz ist der Engpass. Die Netzinfrastruktur wächst nicht im selben Tempo wie der Zubau von Wind- und Solaranlagen. Die Folge sind Notabschaltungen, steigende Kosten und ein zunehmend instabiles Stromsystem.
Gleichzeitig fehlen Speicherlösungen, intelligente Lastmanagement-Systeme und flexible Infrastruktur, um den stark schwankenden Ökostrom sinnvoll einzubinden.
Politische Forderung: Ausbau nur noch mit Netzverfügbarkeit verknüpfen
Angesichts dieser Entwicklungen braucht es einen politischen Kurswechsel. Der bisherige Ausbau nach dem Prinzip „erst bauen, später nachdenken“ funktioniert nicht mehr.
Die Forderung lautet:
- Kein weiterer Zubau ohne Netzkapazitätsnachweis.
- Priorisierung von Netzausbau, Speichern und Regelenergie – statt immer neuer Anlagen.
- Reform der EEG-Vergütung: keine Subventionierung nicht eingespeisten Stroms.
- Bessere Abstimmung von Produktion und Verbrauch – insbesondere regional.
Fazit: Wachstum braucht Struktur, nicht Symbolpolitik
Der Windenergieausbau mag beeindruckende Zahlen liefern – doch die Grundlage für eine erfolgreiche Energiewende ist nicht allein die installierte Leistung. Es ist die Nutzbarkeit des Stroms.
Nur wenn der Ausbau der Erneuerbaren mit einem Ausbau der Netzinfrastruktur Hand in Hand geht, bleibt die Transformation bezahlbar, sicher und technisch beherrschbar.
Wer weiter Strom produziert, den niemand nutzen kann, riskiert das Vertrauen der Bürger – und das Rückgrat unserer Versorgungssicherheit.
*) Der Börsenstrompreis am EPEX-Spotmarkt für Deutschland/Luxemburg ist im ersten Quartal 2025 gegenüber dem ersten Quartal 2024 um 30,32 % gestiegen (Quelle: de.statista.com).
Der Börsenstrompreis ist ein wichtiger Bestandteil des Großhandelsstrompreises. Der Strompreis, den Verbraucher zahlen, setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, darunter dem Großhandelspreis, den Netzentgelten, Steuern und Abgaben.
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